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Der sterbende Partisanenfriedhof von Mostar: Vom antifaschistischen Kunstwerk zur verhassten Ruine

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Foto von 1965 aus: Bogdan Bogdanovic – Memoria und Utopie in Tito-Jugoslawien

In Mostar, der Hauptstadt der Herzegowina im Süden Bosniens, liegt ein 5200 qm großer Partisanenfriedhof. Diese einst großartige Totenstadt wurde 1965 von dem aus Belgrad stammenden Freigeist, Humanisten und Architekten Bogdan Bogdanović errichtet. Heute vegetiert dieser Denkmalpark vor sich hin. Und immer wieder versuchen einige Bewohner ihn zu zerstören. Nur ein Wunder, wie das Engagement der UNESCO, könnte ihn retten.

Der Partisanenfriedhof ist ein Spiegelbild der politischen Wirklichkeit in dieser Gegend. Seit dem Krieg in den Neunziger Jahren ist Mostar geteilt. Die westliche Seite des Flusses Neretva ist kroatisch, die östliche bosniakisch. Der Friedhof liegt auf kroatischem Gebiet und ist schwer zu finden. Die meisten Besucher spazieren durch die Postkartenmotive auf der niedlichen bosniakischen Seite am Fluss, durch die Altstadt mit ihren Cafés und Souvenirläden – und natürlich auf der Alten Brücke. Kaum ein Bosniake besucht die andere Seite, und kaum ein Kroate überquert die Brücke in den bosniakischen Teil der Stadt. Was umso surrealer ist, wenn man bedenkt, wie klein Mostar ist.

Die kroatische Seite zeigt noch die Zerstörung des Krieges, der gesamte Boulevard am Fluss trägt Spuren von Granateneinschlägen. Zugleich ist diese Seite der Stadt mit seinen Parks, breiten Alleen und guten Restaurants absolut interessant. Hier, auf dem „weißen Hügel“ liegt auch der Partisanenfriedhof, der „Partizansko Groblje“.

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Hauptweg der Nekropolenanlage heute, Foto K. Koch

In Mostar gibt es keine Hinweise auf die historische und kulturelle Bedeutung der Partisanennekropole. Alle Leute, die ich frage, zucken mit den Schultern. Als ich schließlich ein Hinweisschild finde, endet die angezeigte Straße in einer Mauer. Ich fahre mehrere Male um die ganze Stadt. Schließlich kann ein junges Pärchen helfen. Wir passieren Hinterhöfe von Wohnhäusern und Erdgeschosse von Hochhäusern. Als wir die Anlage erreichen, verabschieden sich die beiden. Sie wollen mich nicht begleiten, sie haben Angst. Die Anlage ist einerseits ein Ort für Dealer, andererseits von kroatischen Politikern verhasst und deshalb in den Fokus von Nationalisten gerückt. Im November 2017 attackierten hier 20 Maskierte eine internationale Studentengruppe.

Foto: K. Koch

Die Stadt der Toten

Die Nekropole ehrt die 810 Gefallenen des kommunistischen Widerstandskampfes im Zweiten Weltkrieg gegen die kroatische Ustascha und die deutschen Besatzer. Von Mauern geschützt ruhen hier die Gebeine von 560 Gefallenen. Sie waren nach der Befreiung aus Massengruben geborgen worden.

Die Anlage ist wie eine richtige Stadt gestaltet: Durch das Löwentor gelangt man in den Vorhof. Dann führt ein 300 Meter langer Weg in Serpentinen hoch zum Friedhofsplateau (Theatron). Eine aufsteigende, ummauerte Gasse, von der man durch Tore einzelne andere Terrassen mit Grabplatten betreten kann. Aber die ganze Anlage ist voll mit Bierflaschen, Exkrementen und Müll. Die Wege sind so gut wie nicht erkennbar. Es liegen nur noch wenige der anfänglich über 600 beschrifteten Grabsteine im Gestrüpp. Die meisten wurden kaputtgeschlagen, auf den verbliebenen sind Hakenkreuze und Ustascha-Symbole gekritzelt. Man möchte die wenigen erhaltenen am liebsten retten und in die Tasche stecken.

Vor dem Krieg in den Neunzigern war der Anstieg der Anlage von Zypressen, Pinien und Bächen gesäumt. Das Zusammenspiel von Steinen und Pflanzen, Wasser und Licht erinnerte an einen asiatischen Tempelgarten. Bogdan Bogdanović soll gesagt haben, man könne hier steinerne Vögel miteinander sprechen hören. Der Blick auf die Stadt ist noch immer toll.

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Foto Spomenik Database

Kaum eine freie Stelle am Mauerwerk ohne nationalistische Symbole und Sprüche. Ich habe Farbe dabei und übermale einige Hakenkreuze. Andere haben schon versucht Ustascha-Kreuze durchzustreichen. Um die fiesen Nazisprüche an den Mauern zu verdecken, bräuchte man ein ganzes Team von Sprayern. Wieso gibt’s die eigentlich nicht? Dazu später mehr.

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Zerstörte Grabsteine, Foto K. Koch
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Hauptwand der Nekropole mit Ustascha-Zeichen Foto: K. Koch

Die erste Zerstörung der Friedhofsanlage fand im Februar 1992 statt, kurz bevor der Krieg in Bosnien-Herzegowina ausbrach. Einen Tag bevor die jährliche Erinnerungsfeier in der Nekropole stattfinden sollte, wurden die ersten Grabsteine gesprengt. Dieser Angriff auf die Nekropole eröffnete die Kriegshandlungen in Mostar.

Ein Mann stapft mit seinem Hund immer wieder durch das Gestrüpp der Labyrinth-ähnlichen Wege. Er erzählt, dass er in diesem Krieg hier in Mostar für die Kroaten gekämpft habe. Er schaut auf die Ruine und sagt, dass die Vergangenheit doch irgendwann nicht mehr wichtig sei, das sähe man schließlich an diesem zerstörten Friedhof. Die Partisanen seien heute uninteressant. Irgendwann würde auch der letzte Krieg uninteressant. Er wünsche sich, dass die Menschen Frieden schlössen und er wieder problemlos über die Brücke auf die andere Seite gehen könnte. Und dass die jungen Leute die ethnischen Trennungen so respektlos behandeln würden wie diese Gedenkstätte.

Okay, so rettet er die Anlage zwar nicht, aber seine Ansicht ist nicht übel.

Bogdanovićs Mini-Mostar

Jedes Mal, wenn er einen Gedenkkomplex plante, entschied sich Bogdan Bogdanović für eins der vier Elemente. Weil Mostar aus dem Stein der Herzegowina erbaut ist, wählte er die Erde als Thema für die Nekropole. Bogdanović wollte eine Stadt der Toten bauen, die die Stadt der Lebenden wiederspiegelt und erdachte ein Mini-Mostar. Er benutzte die gleichen Steine, baute die gleichen Gassen, die gleichen Tore. Der Friedhof in Mostar ist vielleicht sein ehrgeizigstes Werk. 12.000 bearbeitete Kalksteinelemente wurden für die Oberflächen verwendet. Für die Verkleidungen der Mauern bat Bogdanović die Angehörigen der Gefallenen, alte Schiefer-Dachplatten ihrer Häuser beizusteuern. Ganz nach dem Geschmack des schlauen Architekten: Die Stadt nutzte Reste ihrer Vergangenheit für ein Werk der Zukunft. 

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Kosmologischer Kreis und Brunnen, Foto: K. Koch

Die größte Mauer auf der obersten Plattform ziert das zentrale Element: ein kosmologischer Kreis. Davor ein orientalischer Brunnen, aus dem schmale Kanäle führen, die im Vorhof in eine Wasserkaskade münden. Damals floss hier Wasser, als Gleichnis zum Fluss Neretva, der durch Mostar fließt.

Probleme mit der Erinnerungskultur

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Durchgestrichene Ustascha-Symbole, Foto: K. Koch
Foto: K. Koch

Auch bei diesem Spomenik ist die Veränderung der Erinnerungskultur. ein Problem. Die junge Generation der kroatischen Bevölkerung hat entweder gar keine Verbindung zu Mostar vor dem Krieg – oder sie verbindet mit solchen Denkmälern den heute verhassten Kommunismus. Die kroatisch kontrollierte Seite der Stadt hat in den Neunziger Jahren alle Straßen- und Parknamen verändert. Sie tragen nicht mehr die Namen von berühmten sozialistischen und antifaschistischen Kämpfern, sondern von kroatischen Königen aus dem Mittelalter oder sogar von Ustascha-Ideologen.

Was interessiert die kroatischen Politiker also ein Denkmal, das die Antifaschisten ehrt und von einem serbischen Architekten gebaut wurde, der alle Menschen inklusive Muslime mochte?

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Haupttor zum Partisanenfriedhof, Foto K. Koch

Der Vorstand des kroatischen Verbandes der Antifaschisten, Sead Djulić, beschuldigt das Kultusministerium der Verwahrlosung des Partisanenfriedhofs. Dort interessiere man sich nicht für antifaschistische Werke. Antifaschisten würden nur als Kommunisten gesehen und ethnische Einheit sei heute ein Schimpfwort. Der Partisanenfriedhof sei für sie ein Störfaktor, erklärt Djulić, weil er der Friedhof der siegreichen Armee war. Die Politik in Mostar stehe jedoch auf der Seite der Verlierer, die die Ustascha und ihren Führer Ante Pavelić verehrten. Am liebsten würden sie die Anlage abreißen, sagt er.

Versuche das Denkmal zu rehabilitieren

Seit Ende des Bosnienkrieges hat es einige Versuche gegeben, die Partisanennekropole zu retten. 2006 wurde die Anlage von der bosnischen Regierung zum Nationaldenkmal deklariert. Im Oktober 2013 lagen zwei Tücher auf dem Partisanenfriedhof, auf denen ein Zitat von Bogdan Bogdanović geschrieben war:

Wir tragen diese unsterbliche Stadt in uns / Ich habe Angst vor einer Stadt ohne Erinnerung, so wie ich mich vor Menschen ängstige, die kein Unterbewusstsein haben. Polis/Metropolis/Megapolis/Necropolis.

Im Jahr 2008 stifteten Holland und Norwegen 20.000 Euro. Gleichzeitig hielt der Vandalismus an, so dass nichts davon fruchtete. Die Zerstörungswut der Masse scheint größer als die zarten Bemühungen einzelner.

Einige Jahre später besuche ich die Nekropole noch einmal, es ist Abend. Eine Gruppe Studenten ist damit beschäftigt, Scheinwerfer aufzubauen, um die Anlage anzustrahlen. Einige sammeln Müll auf. Vorbereitungen für den Europatag am 10. Mai 2018, erklären sie. Sie erzählen auch, dass die Anlage einem Verein von Kriegsveteranen der Stadt gehöre, die sich nicht interessierten und das Geld, das sie für die Instandsetzung von privaten Spendern bekämen, für sich behielten.

Foto: K. Koch

Seit einigen Jahren finden immerhin wieder kleine Erinnerungsfeiern statt. Seitdem soll es dort einen Sicherheitsdienst geben, der Tag und Nacht bewacht, allerdings habe ich bei meinem letzten Besuch niemanden gesehen.

Bogdan Bogdanović besuchte seinen Partisanenfriedhof im Jahr 2000 ein letztes Mal. Ihn, der Städte für ein einzigartiges Erinnerungsdepot hielt, schmerzte die Zerstörung seiner liebsten Städte – Mostar, Vukovar und Sarajevo – sehr. Er sagte bei seinem Besuch der sterbenden Nekropole, er habe sich eigentlich gewünscht, dass die Urne mit seiner Asche in einer der Nischen am Eingang der Nekropole versteckt würde; aber er würde wohl nicht mehr in der Gesellschaft von Freunden sein, weil deren Grabsteine von Sadisten zermalmt worden seien.

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2000, Bogdan Bogdanovic besucht die Nekropole, Foto Spomenik Database

Während des Bosnienkrieges hatte Bogdanović in seinem Essay „Die Stadt und der Tod“ geschrieben:

„Was bedeutet es in Wirklichkeit eine Stadt zu morden? Es bedeutet die Erinnerung in alle sieben Winde zu zerblasen, ihr zu zeigen und zu beweisen, nicht nur, dass es sie nicht gibt, sondern dass es sie nie gegeben hat.“

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