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Sarajevo Film Festival Eine Anleitung zum 25. Jubiläum

Das Sarajevo Film Festival ist eins der coolsten Ziele des Sommers auf dem Balkan. Das wichtigste Filmfest der Region wird in diesem Monat zum 25. Mal in der bosnischen Hauptstadt gefeiert. Pünktlich zum Jubiläum können sich die Kurzfilme seit Neuestem direkt für die Oscars qualifizieren. Damit ist Sarajevo nun in der Gesellschaft von Cannes, Berlin usw. angekommen. Der Schwerpunkt des Sarajevo Film Festivals liegt auf südosteuropäischen Filmemachern, die großartige Geschichtenerzähler sind. Dazu kommt ein filmverrücktes Publikum – und der relaxte, unverstellte Charme von Sarajevo.  

Vom 16. bis 23. August präsentiert das Festival über 200 Filme aus mehr als 50 Ländern. 53 Feature Filme, Dokus, Kurzfilme und Studentenfilme gehen ins Rennen um das „Herz von Sarajevo“.

Was genau macht das Film Festival in Bosnien-Herzegowina so einzigartig? Wie finden Sie sich dort zurecht und wo gibt’s Tickets?

Großes Interesse am Kino in Bosnien-Herzegowina

Junge und alte Menschen pilgern zum Festival, um Art House und Indie-Filme anzuschauen. Studenten aus aller Welt genauso wie Leute aus den umliegenden Städten und Dörfern – und die Bewohner von Sarajevo natürlich. Das Interesse wird von Jahr zu Jahr größer, mehr als 100.000 zahlende Gäste kommen. Für die meisten Menschen in Sarajevo bedeuten die sieben Festivaltage im August einen Riesenspaß. Der Vermieter des Apartments hat sich komplett frei genommen und mailt im Vorfeld, dass er leider ein schlechter Gästekontakt sein wird, weil er von morgens bis abends im Kino sitzen wird. Die Angestellte im Konzum-Supermarkt macht früher Feierabend, weil sie sich mit ihrem Freund zu einem kosovarischen Drama verabredet hat. Kino ist also doch nicht tot – zumindest nicht in Bosnien-Herzegowina.

Das Filmfest in Sarajevo ist ein Publikumsfestival. So sind die Tickets für alle vor Ort am Box Office und online erhältlich. Die Filmstars sitzen beim Bier am Nebentisch und machen sich nichts draus. Die Menschen in den ex-jugoslawischen Ländern sind übrigens keine kreischenden Fans wie wir. Vielleicht wird das Festival deshalb gern als „familiär“ beschrieben. Bei allem Respekt für gute schauspielerische, musikalische oder irgendeine andere Leistung: Auf dem Balkan gilt ein entspannt-stolzes Du-bist-trotzdem-nichts-Besseres-als-ich. Am Roten Teppich versammelt man sich folglich eher fröhlich als ekstatisch. Mit einer Ausnahme: Wer dem Filmfestival außergewöhnliche Dienste bereitet oder die Stadt sogar während des Krieges besucht hat, wird mit Dankbarkeit überschüttet. Wie bei Angelina Jolie im Jahr 2007. Für solche Fälle wird das Honorary Heart of Sarajevo serviert. Jolie wurde gleichzeitig auch noch zur Ehrenbürgerin ernannt.

Neben aktuellen internationalen Produktionen hat man vor allem die Chance großartige Werke zu sehen, die niemals in unsere Kinos kommen oder online bereitstehen werden. Juwelen aus Rumänien, Türkei, Serbien oder Albanien und der restlichen Welt zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer. Allein in der Kategorie „BH Film“, einem Programm von Filmemachern aus Bosnien-Herzegowina, sind dieses Jahr 69 Produktionen vertreten, darunter 41 Weltpremieren. Die Sektion Feature Filme startet mit der bosnischen Weltpremiere „The Son“. Ines Tanovic porträtiert zwei Jugendliche im heutigen Sarajevo mit all ihren Konflikten.

Das Festival lebt natürlich auch von den eigenen Stars und Lieblingen. Die lassen sich kein Festival entgehen. Die Regisseure Danis Tanović („No Man’s Land“), Aida Begić („Children of Sarajevo“) oder Jasmila Zbanić („Grbavica“, „Na putu“, „Love Island“ u.a.) sind Kinder des Film Festivals und haben hier ihre internationalen Karrieren begonnen. Auch Leon Lućev, verehrter Schauspieler des ex-jugoslawischen Kinos, ist mit dem Filmfest eng verbunden. Als Jurymitglied sowie als dutzendfacher Schauspieler in hier prämierten Filmen („Men don’t cry“, „The Miner“, „The Load“). Dieses Mal präsentiert er seinen ersten Kurzfilm. KomponistGoran Bregović ist dabei mit seiner ersten Dokumentation “A Small Documentary about 3 Letters”: Die Entstehung eines Konzerts als Metapher für das Zusammenleben der verschiedenen Religionen. Passt. Aus der Literaturwelt kommt der bosnisch-amerikanische Autor Aleksandar Hemon (“Lazarus”, “Zombie Wars”), um die Pressekonferenzen zu leiten.

Für die Balkanländer hat das Filmfest eine große politische Bedeutung. Viele Filme beschäftigen sich mit der Wirklichkeit der Menschen aus der Region und erzählen von Erfahrungen aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Dialog, der durch diese Geschichten angeregt wird, ist unbezahlbar. Filmleute und Interessierte von Ljubljana bis Tirana und von Tiflis bis Skopje kommen zusammen und haben die Chance, soziale und kulturelle Grenzen aufzubrechen. So nähert man sich in Sarajevo beim Film Festival dem wohl edelsten Ziel des Kinos an. Das Schweigen zu brechen und Empathie zu fördern. 

Und dann ist da noch Sarajevo selbst. Diese schöne, herzliche und oft falsch verstandene Stadt. Aber falsch Verstandene sind nun mal wahnsinnig sympathisch. Es scheint, als ob sich die Dichte an Cafés, schattigen Innenhöfen und Bars während des Festivals verdreifacht hätte. Jeder bemüht sich teilzuhaben, etwas beizutragen zu diesem besonderen Ereignis. Gegenüber des Jüdischen Museums verkauft eine Frau schüsselweise frisch gegrillte Sardinen für einen Euro aus ihrem Küchenfenster. An einer stark befahrenen Straße stellt ein alter Mann einen Plastikstuhl vors Haus und lädt mit ausladender Geste zur Rast ein. Überall werden die Gäste in Gespräche einbezogen und zum berühmten bosnischen Mokka oder Rakija eingeladen. Die sind natürlich überrascht, denn man hatte sich unter Sarajevo ja etwas ganz anderes vorgestellt. Aus für Sarajevo-Fans unerklärlichen Gründen existiert da eine Hemmschwelle. Selbst Schuld, denkt sich der Sarajevo-Freund insgeheim, und freut sich seine Lieblingsstadt nicht mit den gemeinen Touristen teilen zu müssen.

Die Geschichte des Festivals

Als Sarajevo in den Jahren 1992 bis 1995 belagert war, zerbrachen sich einige Leute einer Künstlerinitiative den Kopf: Wie könnte man in diesen schlimmen Zeiten ein wenig Kultur, ein wenig vom kosmopolitischen Geist wieder zurück in die Stadt holen? Die Antwort war: Kino, egal wie.

Sie richteten zunächst einen kleinen Raum in der Uni ein. Minibühne, VHS-Player und Projektor, ein paar Stühle. Die Filme kamen von Kriegsreportern, die Tapes mit in die Stadt brachten. Der Preis für ein Ticket für eine Vorstellung: sieben Zigaretten. Die Besucher rannten unter Sniper-Beschuss zum Kino, Bombeneinschläge unterbrachen regelmäßig die Vorstellungen.

Als der Direktor des Filmfestivals von Locarno davon hörte und die bosnische Hauptstadt 1995 besuchte, stellte er die Locarno-Filme im Anschluss in Sarajevo zur Verfügung. Dann machte auch Edinburgh mit. Das “First Summer Film Festival Sarajevo 1995” startete mit Filmen auf VHS aus 15 Ländern im Atrium des Kulturzentrums. Trotz anhaltender Belagerung kamen über 15.000 Besucher. Der Umzug ins heutige Open Air Kino war für die Menschen in Sarajevo, die fast vier Jahre lang keine öffentlichen Plätze besuchen konnten, eine Befreiung. Und einer der Gründer von damals, Mirsad Purivatra, ist heute der Direktor des Sarajevo Film Festivals.

Die schönsten Kinos

Von den dreizehn Kinos und Vorstellungsorten ist das Nationaltheater der repräsentative Mittelpunkt des Festivals. Hier werden unter anderem die Wettbewerbsfilme gezeigt. Über den Roten Teppich gelangt der Kinogänger in das 1921 errichtete Gebäude aus der Österreichisch-Ungarischen Zeit. Zum Jubiläum hat sich der Rote Teppich in einen rot gemusterten bosnischen Kelim verwandelt. Auch der landläufige Ticketkäufer ist im Nationaltheater willkommen. In den Bars und Cafés rund um das Theater und den anliegenden Festival Square lässt es sich bis spät in die Nacht gut rumhängen. Zur Primetime marschieren die Filmcrews ein, bequem vom Barhocker zu beobachten.

Adresse: Obala Kulina bana 9

Nur ein paar Schritte entfernt liegt das eigentliche Herz des Festivals. Das „Open Air Cinema“ mit Riesenleinwand und Bühne auf dem Schulhof des Städtischen Gymnasiums. Umgeben von Wohnblöcken und der ehemaligen Synagoge ist die Stimmung auf dem grauen Schulhof wirklich festlich. Das liegt auch daran, dass die Filmemacher und Schauspieler ihre Werke hier häufig persönlich präsentieren. Auch die Ehrenpreise werden hier verliehen. Oliver Stone, John Cleese, Mike Leigh oder Abel Ferrara hielten hier schon rührige Dankesreden.

Adresse: Gimnazijska Ulica

Das „Meeting Point Cinema“ ist Sarajevos Kultkino. Angebunden an ein entspanntes Café auf der Südseite des Flusses, findet man hier Screenings aus der vielleicht wichtigsten Rubrik des Festivals: „Dealing With The Past“ vereint Filme, in denen die Wirklichkeit der Bewohner der Balkanländer diskutiert wird.

Adresse: Hamdije Kreševljakovića 13

Gleich gegenüber ein weiterer Hotspot im Innenhof der Feuerwehr. Auf der „Sarajevsko Summer Screen“ werden spätabends Filme und Dokus über Musik und Popkultur gezeigt. Diesmal z.B. geht es um PJ Harvey, Maradona und den serbischen Musiker Vlada Divljan.

Grandiose Atmosphäre im Liegestuhl mit Drinks unter Sarajevos Sternenhimmel.

Tickets gibt’s am Box Office, die Preise liegen zwischen 1,50 und 7 Euro.

Main Box Office, Bosanski Kulturni Centar, Branilaca Sarajevo 24

oder

www.films.sff.bh

Geheimtipps rund ums Festival

Essen und Trinken

Mitten im Festivalgewimmel, bester Italiener der Stadt, bis spät abends beliebter Treff, : Boccone, Branilaca Sarajeva 51

Im versteckten Restaurant auf der ersten Etage der Markthalle gibt es mittags bosnische Hausmannskost zu niedrigen Preisen. Mula Mustafe Bašeskije 4a

Delikatesna Radnja ist der Stammtreff der Festivalgänger am Fluss hinterm Festival Square, Café und Restaurant mit internationalen Speisen, Obala Kulina bana 10

Den besten Kuchen gibt es im Hotel Europa (Vladislava Skarića 5) und bei Ramis mitten in der Altstadt (Sarači 1)

Palatschinken, Kuchen und klassisches Frühstück im Wiener Café, Ćurčiluk veliki 3

Gute Čevapi bei Zeljo in der Altstadt, Kundurdžiluk

Der beste Burek bei Bosna in der Altstadt, Bravadžiluk

Late Night Burger und Falafel bei Pirpa, Čobanija 4


Veganes und Vetarisches bei Klopa in der Fußgängerzone, Ferhadija 5

Barhana: Pasta, Pizza und Bosnisches sowie grandiose Rakija auf großer Terrasse zu moderaten Preisen, Djulagina Cikma 8

Dveri: authentische bosnische Kost, frische Säfte, gemütliches Ambiente, Prote Bakovića 12

Karuzo: liebevoll zubereitete vegane und vegetarische Küche, am besten reservieren, Dženetića Čikma

Zum Ausruhen oder Arbeiten

Sevdah Art House, Café mit Museum schöner Innenhof, abends Konzerte traditioneller bosnischer Musiker, Halači 5

Džirlo, Teehaus in der Altstadt mit schönem Blick, Kovači 6

Franz&Sophie, ruhiger Tea Shop mit leiser klassischer Musik an der Musikhochschule, Petrakijina 6

Kod Bibana, Terrassencafé mit Blick über die ganze Stadt, steile Gassen, man braucht Puste oder ein Taxi.  Hošin brijeg 95

Café Tito, schattiges Plätzchen am Wilson’s Boulevard mit Tito-Thema, Zmaja od Bosne 5

Havana, relaxte Bar in der Altstadt, auch tagsüber, Kundurdžiluk 12

Galerija Boris Smoje, Hipster-Kneipe mit Terrasse und Kunstausstellungen, Radićeva 11

Zum Pausieren und Entdecken

Vilsonovo Setaliste: Spazieren oder Joggen entlang der Allee am Fluss, Cafés, Himbeeren von Straßenverkäufern

Zuta Tabija: schöner Spaziergang in der Altstadt mit Start am Brunnen Sebilj. Spitzenpanorama, guter kava bosanska, Bio-Limonaden und Baklava

Wanderung zum Wasserfall Skakavac: im Taxi von Sarajevo-Zentrum für zehn Euro Richtung Stadion Koševo, letzte halbe Stunde laufen bis zum Ausgangspunkt der Wanderung: 2-Stunden Rundweg durch den kühlen, duftenden Wald

Mit der Seilbahn auf den Berg Trebević: schnelle Pause in der Natur. Seit Frühjahr läuft die lang vermisste Seilbahn wieder. Start in Bistrik.

Trödelmarkt Stup: wilder Markt westlich des Zentrums. Alles von Geigen bis alten Badelatschen, Grillbuden und Kaffee; sonntags bis 14 Uhr

Juwelier Sofić in der Altstadt: Die Brüder Sofić fertigen den Festivalpreis an, das Herz von Sarajevo. Die kleine Version als silberner Anhänger ist ein günstiges Souvenir. Außerdem exquisiter filigraner bosnischer Schmuck. Gazi Husrev-begova 53

Ilidža: Radfahren an der Bosna; mit der Straßenbahn bis zur Endhaltestelle, am Hotel Terme Räder ausleihen und die Allee bis zur Quelle des Flusses Bosna entlangradeln, dort gibt es Cafés und Restaurants.

Konjic: hübscher Ort mit osmanischer Brücke über knallblauem Fluss, zum Baden und Essen, sehenswert: Titos Bunker mit Kunstinstallationen. Knappe Stunde per Auto oder Zug

Mit dem Zug nach Mostar: Von der Hauptstadt Bosniens in die Hauptstadt der Herzegowina. Zwei Stunden an der türkisblauen Neretva entlang, über den Ivan-Pass, in das fruchtbare Tal der Herzegowina.

Übernachten in Sarajevo:

Schick, alteingesessen und zentral: Hotel Europa

Legendär: Hotel Holiday

Klein, günstig und modern: Hotel Bistrik

Klein, günstig: Motel Mejtas

Günstig, gemütlich, großes Frühstück: ADA Hotel

Cooles Hostel: Doctor’s House

Schickes B&B: Secret Rooms

Modernes Stadthotel: Hotel Opal

Zentrales Hostel: Franz Ferdinand Hostel

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