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Der Turm von Kozara

Das Denkmal für die Revolution in Kozara, Bosnien-Herzegowina, 1972 erbaut von Dušan Džamonja. Foto K. Koch

Dieser topgepflegte Turmbau steht im Nationalpark Kozara auf dem Gipfel des gleichnamigen Berges. Es ist spät abends, als wir Kozarac, den Ort am Fuße des Berges, erreichen. Volle Restaurants, laute Musik, Kirmesstimmung. Wir tuckern den auf der Straße spazierenden Pärchen hinterher. Bei einem Stop im Kiosk erklärt jemand, zum Denkmal sollen wir da vorn abbiegen, und dann rauf, und macht dabei Serpentinen-Bewegungen.

Die Menschen hier im Nordwesten von Bosnien-Herzegowina haben auch in der jüngsten Geschichte viel mitgemacht. Kozara gehört zur Gemeinde Prijedor. Mit Prijedor verbindet man heute vor allem traurigerweise die ethnischen Säuberungen von 1992. Aus dem Gefangenenlager in Prijedor erreichte die Welt damals das Coverfoto auf dem Time Magazine eines dürren Gefangenen hinter Stacheldraht, das uns an den Holocaust erinnerte. Von da an, behaupte ich, hat man erst kapiert, was da mitten in Europa passierte.

Aufgrund der politischen Entwicklungen nach dem Krieg muss zunächst ein babylonisches Ethniengewirr geklärt werden: Kozara gehört seit dem Krieg dem serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina an. Zugleich ist es eine muslimische Enklave (später mehr dazu). Das Denkmal für die Revolution oben auf dem Berg ist also irgendwie bosniakisch und serbisch zugleich. Aber nicht aufgrund der ethnischen Gleichheit, die es als kommunistisches Symbol unter anderem einmal verkörpern sollte, sondern als Folge des Faschismus.

Als wir die Partymeile von Kozarac verlassen, ist da nur noch Dunkelheit. Den Wald können wir nur riechen. Ein paar Mal überfahren wir etwas Hartes, Großes. Hoffentlich Steine. Hoffentlich hält das Auto. Für die 18 Kilometer brauchen wir ewig. Wir folgen handgeschnitzten Wegweisern zu einem Hotel, die wir mit dem Handy anleuchten.

Das Monument Hotel ist ein großes Chalet-Hotel aus Jugo-Zeiten mit wortkargen Angestellten und riesigen Zimmern mit Sideboards, in denen man Baumstämme verstauen könnte. Unsere Schritte hallen auf dem grauen Marmor. Wir inspizieren das Gebäude und finden ein Fernsehzimmer. Die Hotelgäste schauen gemeinsam einen Film mit Tom Cruise. Das erinnert an Urlaub in der Kindheit. Der Kellner bringt Schnaps und Kaffee. Auf den Zuckertütchen ist das Denkmal abgebildet. Dass unser Spomenik hier auf dem Zucker gefeiert wird, finden wir gut.

Am Morgen will ich die erste oben am Denkmal sein. Eine Ecke kann ich schon vom Balkon aus sehen. Um sechs Uhr jogge ich aus dem Hotel. Die Luft ist wahnsinnig gut. Auf dem Parkplatz sind allerdings schon einige durchtrainierte Typen mit Situps beschäftigt. Teenies in Trikots eines Sportclubs sprinten an mir vorbei. Unzählige Wanderwege sind ausgeschildert, der Nationalpark Kozara – 1976 von Tito gegründet – ist bekannt für seine Wasserfälle, Ethnodörfer und das gute Essen. Bunte Rucksäcke flackern durch die Bäume.

Auf dem Berg Kozara, Foto K. Koch

Dann dieser surreale Säulenbau mitten in diesem Urlaubs-und Sport-Areal: Er sieht aus, als wollte es die Bergpitze noch weiter in den Himmel ziehen. Die Zedern feuern es an. Der Turm ist 33 Meter hoch und aus Stahlbeton. Das typische Spomenik-Feeling: Er wirkt erhaben und niedlich zugleich. Während des Kriegs in den Neunziger Jahren hat das Monument kaum Schaden davon getragen, da es so abgeschieden liegt.

Hinter dem Turm befindet sich ein Gang mit einer Gedenkwand, die mit Bronzetafeln bestückt ist. Darauf stehen 9.921 Namen von gefallenen Partisanen. Frische Blumensträuße liegen unter den Tafeln. In Kozara wird der Gedenktag am 3. Juli noch in voller Montur abgehalten.

Foto K.Koch
Gedenkwand, Foto K.Koch

Das Denkmal für die Revolution von Kozara wurde 1972 im Andenken an die Menschen aus der Gegend errichtet, die während der Operation “West-Bosnien” in die Konzentrationslager der Nazis deportiert wurden. Bei dieser Offensive vom 10. Juni 1942 bis zum 4. Juli 1942 kämpften 4000 serbische Partisanen gegen 40.000 Deutsche, kroatische Ustascha und Domobran. Am Ende starben 34.000 Menschen bei Kozara, 70.000 weitere wurden im Lager von Jasenovac getötet.

Die Schlacht von Kozara ist neben der von Sutjeska eine der größten Legenden Jugoslawiens. 1962 erschien der Film „Kozara“ von Veljko Bulajić. Er wurde 1963 bei den Academy Awards als bester ausländischer Film eingereicht, bekam aber keinen Preis. 

Film „Kozara“, Foto K. Koch

Dušan Džamonja und Goran Bregović

Der mazedonische Bildhauer Dušan Džamonja hat diese Gedenkstätte 1972 entworfen. Wie auch der Architekt Bogdan Bogdanović war Džamonja ein Freigeist, der Streitereien über Erinnerungen vermeiden wollte. Ihm lag es fern, Kriegspathos oder die Dominanz einer Konfession, Ethnie oder Nationalität abzubilden. Es ging ihm bei seinen Werken um die reine Skulptur und wie sie sich in die Umgebung fügt..

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rechts: Bijelo Dugme als Helfer des Denkmalbaus in den Siebzigern, Foto: Spomenikdatabase.org

Goran Bregović, Chef der vielleicht bekanntesten Band Ex-Jugoslawiens, Bijelo Dugme, wollte sich damals unbedingt irgendwie in den Bauprozess einbringen, weil der Spomenik von Kozara westliche Werte repräsentierte. So schloss sich die Band im Juni 1976 der Jugendarbeitskampagne Kozara an und half beim Bau des Denkmalkomplexes. Die Konstruktion soll komplett von freiwilligen jugendlichen Helfern erledigt worden sein. 2017 fand im Kozara Nationalpark das erste Rockfestival „Kozara im Herzen“ statt, mit Bijelo Dugme als Headliner.

Dušan Džamonja hat neben dem Säulenbau auch das Museum Mrakovica entworfen, das sich südlich des Gipfels befindet. Man kann Informationen zur Kozara-Offensive finden und Anstecknadeln und Postkarten bei einem Mann kaufen, der in seiner vollbehangenen Uniform aussieht, als würde er gleich den Orden des Volkshelden im Empfang nehmen. In dem Museum befindet sich zudem ein skulpturales Relief, ebenfalls von Džamonja aus dem Jahre 1973.

Mrakovica-Museum am Denkmal, Foto K. Koch
Relief von Dušan Džamonja im Museum, Foto K.Koch

Die Enklave Kozarac und die schwierige Erinnerungskultur

Der Ort Kozarac, unten im Tal, hat seit dem Bosnienkrieg eine außergewöhnliche Entwicklung durchlaufen. Vor dem Krieg lebten hier 8000 Bewohner. Dann wurden Muslime, Kroaten und andere Nicht-Serben durch die ethnische Säuberungspolitik der serbischen Nationalisten vertrieben. Am Kriegsende war die gesamte nicht-serbische Bevölkerung weg. 3000 Menschen ermordet und weitere Tausende in den Lagern.

Damit bloß keiner zurückkam, ließ die bosnisch-serbische Armee keinen Stein mehr auf dem anderen. Nach Kriegsende wollten viele der Vertriebenen dennoch heimkehren nach Kozara. Obwohl sie wussten, wie viel Hass sie erwarten würde. Also taten sich ehemalige bosnische Soldaten zusammen, die als Flüchtlinge über ganz Europa verteilt waren, um die Rückkehr zu organisieren. Dabei wurden sie von bosnischen Frauenorganisationen unterstützt, die die Rückkehrer psychologisch begleiteten. Als eine solche Organisation 1996 die ersten geflüchteten Ex-Bewohner für einen Tagesbesuch nach Kozarac brachte, wurden sie von den neuen Einwohnern angefeindet.

Doch die Rückkehrer blieben beharrlich. Als 1998 internationale Hilfsorganisationen mit dem Wiederaufbau des Ortes begannen, ließen sich einige Ex-Bewohner einfach nieder. Indem sie sich mit der Diaspora zusammenschlossen, gründeten sie eine Online-Community. Verlorene Freunde und Verwandte kamen wieder in Kontakt und die Community konnte Kampagnen starten, die die Rückkehrer materiell unterstützten. Ab 2000 wurde Kozarac ein Zentrum für alle, die in die Region zurückkehren wollten. Und die Bevölkerung von Kozarac ist heute fast ausschließlich muslimisch.

Die Rückkehrer-Community sorgte dafür, dass ein Denkmal mit 1200 Namen der Einwohner aufgestellt wurde, die während des Bosnien-Krieges umgebracht wurden. Auf dem muslimischen Friedhof von Kozarac sind etwa 600 der zivilen Kriegsopfer begraben. Über 1000 Menschen aus der Stadt und den umliegenden Dörfern werden noch vermisst. So ist das in vielen Orten in Bosnien-Herzegowina. Es geht aber noch schlimmer: In allen anderen Orten der Serbischen Republik wie zum Beispiel auch in Prijedor – heute ein serbischer Ort mit einigen muslimischen Einwohnern – sind jegliche Andenken an die nicht-serbischen Opfer verboten.

Sie haben viel erreicht in Kozarac. Auch wenn diese muslimische Insel in der Region nicht gern gesehen ist. Wahrscheinlich haben die Bewohner deshalb direkt elf Moscheen gebaut. Als Schutzwall. Schnell die Existenz festzementieren, an die man nach allem Geschehenen vielleicht selbst nicht ganz glauben kann. Zwei orthodoxe und eine katholische Kirchen gibt es allerdings auch.

Bei so vielen Spannungen in dieser Gegend ist es eigentlich ein Wunder, dass der Nationalpark Kozara ein Ort der Ruhe und Schönheit geblieben ist. Dass die Erinnerungskultur rund ums Partisanendenkmal funktioniert. Dušan Džamonja, der 2009 verstorben ist, wäre zumindest hier oben einigermaßen zufrieden. Inspiriert von seiner Bildhauerkunst verlassen wir Bosnien-Herzegowina, um ein weiteres seiner Werke im kroatischen Podgarić zu besuchen.